Eine ungleiche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte ist nicht nur ein verfassungsrechtliches Problem, sondern auch ein beihilferechtliches.
Durch Urteile vom 4.2.2016 (T-620/11 und T-287/11) hat das EuG die Rechtsauffassung der Kommission bestätigt. Die Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG sei demnach eine europarechtswidrige Beihilfe, weil diese Regelung Unternehmen in Schwierigkeiten aus systemfremden Gründen steuerlich besser behandelt, als andere Unternehmen, weil bei Unternehmen in Schwierigkeiten Verluste nicht verfielen.
Das BVerfG hat durch Beschluss vom 29.03.2017 (2 BvL 6/11, DStR 2017, 1094) § 8 c Abs. 1 KStG für verfassungswidrig erklärt, weil der Verfall der Verluste zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Verstoß gegen Art 3 Abs. 1 GG) jener Unternehmen führe, denen der Verlustabzug infolge eines Anteilseignerwechsels ganz oder teilweise versagt wird.
Auffällig ist, dass die Vergleichspaare, die zur Feststellung der Ungleichbehandlung herangezogen sind, jeweils völlig anders gebildet werden. Entsprechend wertungswidersprüchlich scheinen die Entscheidungen.
Grundidee des § 8c KStG
Sinn und Zweck der Verlustabzugsbeschränkung in § 8c Abs. 1 KStG ist die Sorge des Gesetzgebers, dass der Handel mit sogenannten Verlustmänteln dafür eingesetzt werden könnte, dass ein anderer die Verluste geltend macht als derjenige, der sie erlitten hat. Eine Kapitalgesellschaft ist Steuersubjekt und damit unabhängig von ihren Gesellschaftern zu besteuern. Selbst wenn daher die Gesellschafter wechseln oder sich der Unternehmensgegenstand verändert, müsste nach der Dogmatik des Körperschaftsteuerrechts der Verlustvortrag uneingeschränkt weiter zur Verfügung stehen.
Dies hat vor einem Vierteljahrhundert dazu geführt, dass versucht wurde, Verlustmäntel zu verkaufen, mit einem neuen Unternehmensgegenstand zu versehen und so Gewinne aus einem völlig neuem Geschäft mit den alten Verlusten zu verrechnen.
Seit 25 Jahren versucht der Gesetzgeber nunmehr diese Art der Verlustnutzung zu unterbinden.
Die Vorgängerregelungen des § 8c Abs. 1 KStG sahen als Tatbestandsvoraussetzung für den Erhalt der Verlustnutzung bei einem Übergang wesentlicher Anteilspakete vor, dass der Geschäftsbetrieb im Wesentlichen erhalten bleiben muss. Die Beantwortung der Frage, wann der Geschäftsbetrieb im Wesentlichen erhalten blieb, war immer extrem streitanfällig. Zur Vereinfachung hat der Gesetzgeber daher im Rahmen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 nur noch auf den Übergang bestimmter Anteilsquoten innerhalb bestimmter Fristen abgestellt.
Gesetzliche Regelung des § 8c KStG
Nach § 8c Abs. 1 KStG können nicht genutzte Verluste nicht mehr abgezogen werden, wenn innerhalb von 5 Jahren mehr als 50 % der Anteile an einer Körperschaft übertragen werden; bzw. anteilig nicht mehr abgezogen werden, wenn mehr als 25 % bis maximal 50 % der Anteile übertragen werden. § 8c Abs. 1a KStG macht hiervon in Fällen einer Sanierung eine Ausnahme. Durch diese Sonderregelung wollte der Gesetzgeber Unternehmen in Schwierigkeiten unterstützen.
Entscheidungen des EuG zur unionsrechtswidrigen Beihilfe (T-620/11 und T-287/11)
Auch ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil kann aus Sicht des europäischen Rechts eine rechtswidrige Beihilfe sein. Das europäische Recht stellt insoweit auf den Gedanken eines unberechtigten Wettbewerbsvorteils ab.
Ob eine unionsrechtswidrige Beihilfe vorliegt, wird unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob eine Regelung „selektiv“ ist, ob also der Steuervorteil einzelner Wirtschaftsteilnehmer vom allgemeinen Steuersystem abweicht und nicht durch das System selbst gerechtfertigt ist.
Ausgangspunkt der Entscheidung des EuG ist die Feststellung, dass § 8c Abs. 1 KStG die Regelung enthalte, wonach Verluste bei einem Anteilseignerwechsel von mehr als 25 % ganz oder teilweise verfallen.
Vergleichsmaßstab des EuG für die Beurteilung von § 8c Abs. 1a KStG ist daher die schlichte Feststellung, dass Verluste bei einem Anteilseignerwechsel von mehr als 25 % des Stammkapitals nicht mehr vollständig abzugsfähig sind. Diese generelle, für alle Körperschaften geltende Regelung werde von § 8c Abs. 1a KStG in Sanierungsfällen aufgehoben. Hierdurch werde eine Differenzierung für Wirtschaftsteilnehmer geschaffen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Für Unternehmen in Schwierigkeiten gelte eine begünstigende Regelung, die vom System, das für alle anderen Wirtschaftsteilnehmer gelte, abweiche.
Auch eine etwaige Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 KStG ändere hieran nichts, solange die Regelung nicht aufgehoben sei.
Nach Auffassung des EuG kann eine dem ersten Anschein nach selektive Maßnahme durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des nationalen Steuersystems gerechtfertigt sein. Systemimmanente Wertungen können daher eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.
Ziel der Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG sei es aber, Unternehmen in Schwierigkeiten zu unterstützen. Dies sei ein Zweck, der nicht zu den Grund- oder Leitprinzipien des deutschen Steuerrechts gehöre. Er liege daher außerhalb des Systems.
Festzuhalten ist, dass der EuG bei einer steuerbegünstigenden Norm schlicht auf die Belastungsnorm schaut und fragt, ob es eine systemimmenente rechtliche Wertung gibt, die in der Lage ist, die unterschiedlichen Besteuerungsfolgen zu rechtfertigen. Ob die Belastungsentscheidung des Gesetzgebers – hier § 8c Abs. 1 KStG – selbst systemkongruent ist, wird nicht hinterfragt. Insoweit bleibt es daher bei der Verwerfungskompetenz des BVerfG.
Entscheidung des BVerfG zur Unvereinbarkeit von § 8c KStG mit Art. 3 Abs. 1 GG
Das BVerfG hingegen misst § 8c Abs. 1 KStG an Art 3 Abs. 1 GG. Es vergleicht gedanklich zwei Kapitalgesellschaften miteinander, nämlich eine ohne Anteilseignerwechsel und eine mit Anteilseignerwechsel von mehr als 25 % des Stammkapitals. Das BVerfG kommt im Rahmen dieses Vergleichs zu dem Ergebnis, dass es keinen rechtfertigenden Grund für die unterschiedliche Berücksichtigung von bisher nicht berücksichtigten Verlusten gibt. Mangels eines rechtfertigenden Grundes liege daher ein Verstoß der Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
Ausgangspunkt des BVerfG ist das sog. Trennungsprinzip. Danach ist die steuerliche Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft unabhängig von der Leistungsfähigkeit ihrer Gesellschafter zu beurteilen. Dieses Trennungsprinzip werde durch § 8c Abs. 1 KStG durchbrochen, weil ein Anteilseignerwechsel, also eine Veränderung auf Gesellschafterebene, dazu führe, dass ein Teil der erlittenen Verluste auf Gesellschaftsebene nicht mehr abzugsfähig ist.
In der Entscheidung des BVerfG klingt ein Verständnis für die Entscheidung des Gesetzgebers an, einen Handel mit Verlustmänteln durch sog. Mantelkaufregeln zu unterbinden. Hierfür müssen sich aber die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen am typischen Missbrauchsfall orientieren. Der typische Missbrauchsfall sei dadurch gekennzeichnet, dass eine Kapitalgesellschaft nur über Verlustvorträge verfüge aber praktisch keinen Geschäftsbetrieb mehr unterhalte. Dieser Verlustmantel werde dann durch einen Investor mit einem neuen, gewinnträchtigen Geschäftsmodell nach Erwerb der Anteile gefüllt. Die alten Verlustvorträge sollen so für ein neues Geschäftsmodell nutzbar gemacht werden. Da die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft nicht nur durch ihre Anteilseigner, sondern gerade und vor allem durch den Unternehmensgegenstand und das Betriebsvermögen geprägt sei, könne in diesen Fällen eine Nutzung der alten Verlustvorträge missbräuchlich sein.
Das BVerfG billigt dem Gesetzgeber also zu, missbräuchliche Gestaltungen durch eine typisierende Regelung von der künftigen Verlustnutzung auszuschließen. Voraussetzung hierfür sei aber, dass sich die gesetzliche Typisierung realitätsgerecht am typischen Fall des Missbrauchs orientiere. Die Annahme des Gesetzgebers, durch eine bloße Übertragung von mehr als 25 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft ändere sich die Identität des Steuersubjekts, bilde den typischen Missbrauchsfall gerade nicht ab; es fehle eine Veränderung des sachlichen Substrats. Damit habe der Gesetzgeber die Grenzen seiner Typisierungsbefugnis überschritten.
Auch der Gedanke der Unternehmeridentität rechtfertige nach Auffassung des BVerfG die Differenzierung nicht, da im Körperschaftsteuerrecht das Transparenzprinzip gerade nicht gilt; für die Besteuerung werde nicht auf die Gesellschafter, sondern auf die Verhältnisse bei der Gesellschaft selbst abgestellt.
Das BVerfG stellt erneut fest, dass der fiskalische Zweck der Gegenfinanzierung nicht ausreiche, um eine gleichheitswidrige Besteuerung zu rechtfertigen.
Das BVerfG hat im Ergebnis jene Norm geprüft und als verfassungswidrig verworfen, die das EuG seiner Vergleichspaarbildung zugrunde gelegt hat. Damit hat das BVerfG der Entscheidung des EuG den Boden entzogen. Vor diesem Hintergrund müsste der inzwischen angerufene EuGH (C-203/16 P, C-208/16 P, C-209/16 P und C-219/16 P) eigentlich die Entscheidung des EuG aufheben.
Änderung durch § 8d KStG
Durch Gesetz vom 20.12.2016 hat der Gesetzgeber nunmehr § 8d KStG eingeführt. Danach ist § 8c KStG auf Antrag nicht anzuwenden, wenn (vereinfacht) eine Körperschaft weiterhin denselben Geschäftsbetrieb unterhält und kein schädliches Ereignis eingetreten ist. Ob § 8d KStG dazu führt, dass § 8c KStG nunmehr als verfassungskonform einzuordnen ist, wurde vom BVerfG in seinem Beschluss ausdrücklich offengelassen.
Damit ist im Ergebnis davon auszugehen, dass der Handel mit Verlustmänteln die Steuerrechtswissenschaft auch in den nächsten 25 Jahren weiterhin begleiten wird. Hierbei wird es aber nicht mehr nur um die Definition des Geschäftsbetriebs gehen, sondern immer auch um die Beantwortung der Frage, ob es dem Gesetzgeber gelingt, den typischen Missbrauchsfall sachgerecht abzubilden. Darüber hinaus stellen sich auch bei § 8d KStG beihilferechtliche Fragen.